"Viele Patienten haben wirklich Ängste"

 

Donaukurier 30./31.01.2021

Das Interview führte Suzanne Schattenhofer

 

Ingolstadt - Auf der Infektionsstation des Klinikums liegen aktuell 35 Patienten: Covid-19-infizierte Menschen, die jedoch nicht so schwer erkrankt sind, dass sie auf der Intensivstation behandelt und dauerhaft künstlich beatmet werden müssen.

Krankenschwester Doris Gartner zieht sich in der Schleuse die Schutzkleidung an. In der Infektionsabteilung des Klinikums, wo sie arbeitet, gehört das schon immer zum Prozedere. Neu hinzugekommen ist mit Corona die Schutzbrille. Foto: Klinikum Ingolstadt
Krankenschwester Doris Gartner zieht sich in der Schleuse die Schutzkleidung an. In der Infektionsabteilung des Klinikums, wo sie arbeitet, gehört das schon immer zum Prozedere. Neu hinzugekommen ist mit Corona die Schutzbrille. Foto: Klinikum Ingolstadt

Die Angst, in diesen Bereich verlegt zu werden, ist allgegenwärtig bei den Patienten auf der Infektionsstation. Dort arbeitet Doris Gartner: Die 52-jährige Krankenschwester, die auch als Hygienebeauftragte tätig ist, schildert dem DK, wie sie den Krankenhausalltag jetzt in Corona-Zeiten erlebt. Obwohl sie nach 32 Berufsjahren am Klinikum über reichlich Erfahrung verfügt, versagt ihr manchmal fast die Stimme, wenn sie erzählt.

 

Frau Gartner, vor einem Jahr ist auch bei uns Corona angekommen. Erst einmal möchte ich Sie fragen: Wie geht es Ihnen heute?

 

Doris Gartner: Ich habe meine Belastungsgrenze wahrscheinlich bald erreicht. Es ist physisch und psychisch sehr anstrengend, in der Pandemie zu arbeiten. Auf der Infektionsstation haben wir schon immer sehr viel Arbeit gehabt, aber jetzt, durch die Corona-Pandemie und die Erkrankten, ist es deutlich schwerer.

 

Schildern Sie unseren Lesern doch bitte Ihren Alltag auf der Infektionsstation mit Corona.

 

Gartner: Die Corona-Infektionsstation ist mittlerweile die größte Station am Klinikum: Im achten Stock liegen fachübergreifend alle Patienten mit Covid-19. Auf unserer Infektionsstation gibt es auf jedem Zimmer eine vorgelegte Schleuse, wo wir die Schutzausrüstung an- und ablegen. Bei jedem Betreten des Zimmers, wenn wir eine Behandlung machen, das Essen bringen oder der Patient einfach klingelt, müssen wir uns komplett anziehen: Schutzkittel, FFP2-Maske, Schutzbrille, Kopfhaube und Einmalhandschuhe. Wir auf der Infektionsstation haben den Vorteil, dass wir diese Schutzkleidung schon gewöhnt sind - etwa von Patienten mit Influenza oder Lungentuberkulose. Darum haben wir einen sicheren Umgang damit und wissen, dass wir geschützt sind. Wenn wir etwas brauchen, zum Beispiel aus dem Schrank mit den Pflegeutensilien draußen, müssen wir die Kleidung wieder ablegen und danach, wenn wir wieder aufs Zimmer gehen, komplett neu anlegen. Das ist total aufwendig, vor allem auch zeitlich. Wir müssen bei allen Patienten mindestens dreimal täglich die Vital-Parameter messen: Blutdruck, Puls, Atemfrequenz, Temperatur und vor allem die Sauerstoffsättigung.

 

Wie oft ziehen Sie sich denn an und aus?

 

Gartner: Ach, das kann ich gar nicht sagen.

 

Wo liegen die Unterschiede zu Zeiten vor der Pandemie?

 

Gartner: Bei Influenza-Wellen hat uns bisher immer eine Station mit zwölf Zimmern gereicht. Das ist mit den jetzigen Fallzahlen nicht zu vergleichen. Dadurch, dass wir so viele Patienten haben und diese schwer krank sind und viel Pflege brauchen, arbeitet in der Frühschicht eine Schwester mehr. Wir haben den Personalplan in der Pandemie aufgestockt, damit wir die Patienten ordentlich versorgen können. Jede Schwester hat im Frühdienst vier Zimmer mit maximal acht Patienten.

Wir haben jetzt auch deutlich mehr ältere Patienten, die wir rundum versorgen müssen. Denen müssen wir teils auch Essen und Trinken eingeben. Manche sind verwirrt und wollen nicht im Bett bleiben. Aus Sicherheitsgründen brauchen wir teilweise sogar Sitzwachen, die diese Menschen beobachten. Oder wir legen Alarmmatten vors Bett oder an die Türe, damit wir schnell reagieren können, wenn sie aufstehen.

Die Herausforderung besteht zum Beispiel auch darin, dass sich verstärkt diese Fragen klären: Wohin können wir unsere Patienten nach der Entlassung verlegen? Können sie sich daheim versorgen? Müssen wir Krankengymnastik, Logopädie oder eine Schlucktherapie vermitteln?

 

Wie kommen Sie mit dieser riesigen Belastung zurecht?

 

Gartner: Ich muss sagen, dass wir ein sehr, sehr gutes und stabiles Team sind. Wir unterstützen uns gegenseitig, jeder springt für jeden ein. Dieses Miteinander baut uns auf. Sonst könnten wir das gar nicht über eine so lange Zeit durchstehen. Unsere Stationsleitung hat den Laden auch von Anfang an geschmissen, immer Ruhe bewahrt und ein offenes Ohr für uns gehabt, gleichzeitig arbeitet sie selber in der Pflege mit. Das ist nicht üblich. So kompensieren wir den personellen Mehraufwand im Team. Trotzdem sind viele schon am Limit angekommen. Wir wissen nicht, wie lange wir noch durchhalten können - ewig geht das nicht. Auch ich bin schon sehr erschöpft nach der Arbeit und hatte zu Beginn der Pandemie viele schlaflose Nächte. Gut ist es, wenn man mal zwei, drei Tage frei hat und daheim runterfahren und abschalten kann.

 

Wie gehen Sie mit der Angst vor Ansteckung um?

 

Gartner: Richtig Angst vor einer Ansteckung habe ich nie gehabt durch meine Erfahrung auf der Infektionsstation. Ich weiß, dass die FFP2-Maske effizient ist. Aber ich habe trotzdem Respekt vor der Erkrankung und weiß, dass immer ein gewisses Restrisiko bleibt.

 

Und Ihre Familie, Ihre Freunde? Spüren Sie im privaten Umfeld Vorsicht oder gar Distanz?

 

Gartner: Nein. Alle haben ja gemerkt, dass ich extrem vorsichtig bin. Ich habe meinen Eltern von Anfang an gesagt: "Ohne FFP2-Maske geht ihr nirgends hin. " Ich habe das Glück, dass in meiner Familie und im Freundeskreis jeder die Pandemie sofort ernst genommen hat - auch wegen meiner Schilderungen. Natürlich unter Wahrung der Schweigepflicht.

 

Die Krankheit stigmatisiert. Wie kommen die infizierten Patienten damit zurecht?

 

Gartner: Viele kommen mit Atemnot und haben wirklich Ängste, dass sie auf die Intensivstation an die Beatmung müssen. An den Symptomen, auch an der Erschöpfung, haben die Patienten schon sehr zu knabbern. Unter dem Besuchsverbot leiden viele erheblich.

In solchen Situationen suchen die Patienten doch auch das Gespräch mit Ihnen?

Gartner: Genau. Viele Patienten sagen unseren Ärzten ganz bewusst, dass sie nicht auf die Intensivstation wollen, dass sie nicht beatmet werden wollen. Die sagen zu uns: "Tut, was in eurer Macht steht. " Diese Patienten werden natürlich nicht von uns aufgegeben, und das macht es sehr pflegeaufwendig, denn diese Menschen sind wirklich sehr schwer krank. Sie werden von uns auch psychisch betreut, und wir versuchen, eine Beziehung aufzubauen - trotz Vollmontur. Die Patienten sehen ja nicht unser Gesicht, aber ich schreibe beispielsweise meinen Namen auf den Mundschutz, damit die Patienten mich ansprechen können. Sie erkennen einen auch an der Stimme oder am Leuchten in den Augen. Ich versuche, die Patienten zu beruhigen und ihnen Mut zu machen. Wir sagen immer: "Haben Sie bitte keine Angst, wir passen gut auf Sie auf! " Es gibt auch einen Seelsorger, der regelmäßig zu uns kommt und fragt, welche Patienten Gesprächsbedarf haben.

 

Das bedeutet, dass Menschen auch auf Ihrer Station sterben?

 

Gartner: Ja, und diese Patienten werden auch palliativ versorgt - das gehört jetzt ebenfalls zu unserem Spektrum. Es wird nach Arztanordnung der letzte Lebensabschnitt mit den Angehörigen ermöglicht, wenn diese das wollen. Das ist absolut wichtig und moralisch notwendig. Es gab mal eine Patientin, die war daheim erkrankt, und ihr Mann war auch Covid-19-positiv. Er musste ihr versprechen, dass sie nicht auf die Intensivstation kommt. Und er musste ihr versprechen, dass er am Ende dabei sein würde. Er war dann nicht mehr in Quarantäne, daher durfte er auf unsere Station und konnte seine Frau begleiten bis in die letzte Minute. Das sind so Momente, die einem ans Herz gehen und bewusst machen, wie wichtig es ist, die Menschen auch in der Pandemie nicht allein zu lassen.

Wenn sich die Angehörigen nicht reintrauen, weil sie selber erkrankt sind oder das einfach nicht können, dann müssen eben wir die Sterbebegleitung übernehmen, den Patienten in den Arm nehmen. Das sind Herausforderungen. Denn wir können ja nicht ins Hospiz verlegen wie früher. Dafür erfahren wir auch eine sehr große Dankbarkeit der Angehörigen, die anerkennen, was in dieser Pandemie geleistet wird. Wir sind ja der Verbindungsfaden zwischen Patient und Angehörigen und kriegen jeden Tag viele Anrufe, die natürlich zeitaufwendig sind. Aber da nimmt sich jeder Zeit von uns - natürlich auch die Ärzte.

 

Wird Ihnen Supervision angeboten nach einem Todesfall?

 

Gartner: Wir haben von unserem Pflegedirektor das Angebot bekommen, aber bis jetzt noch nicht in Anspruch nehmen müssen. Wir stabilisieren uns gegenseitig im Team. Nicht nur unser Zusammenhalt ist gewachsen, sondern auch der mit den Ärzten. Der Austausch ist intensiver.

 

Träumen Sie eigentlich manchmal von Corona?

 

Gartner: Oh ja, das kommt durchaus vor, dass ich von der Arbeit träume. Denn es belastet mich, da ich ein emotionaler Mensch bin. Obwohl ich immer versuche, professionelle Distanz zu wahren.

 

Wie erreichen Sie diesen Abstand?

 

Gartner: Ganz schafft man das nicht. Man muss auch eine gewisse Empathie zulassen gegenüber dem Patienten, denn die ist notwendig für eine gute Pflege in Würde. Diese Pandemie verändert einen schon - es geht einem viel durch den Kopf.

 

Sie sind schon geimpft?

 

Gartner: Ja, und ich bin dankbar, dass wir vom Klinikum ein Impfangebot bekommen haben. Im Intranet gab es auch eine sehr gute Aufklärung. Für mich war das überhaupt keine Frage, denn ich war schon immer Impf-Befürworterin. Wir haben doch keine Alternative in der Pandemie.

 

Spürten Sie Nebenwirkungen?

 

Gartner: Ich habe die Impfung sehr gut vertragen.

 

Was würden Sie Corona-Leugnern gerne mal sagen?

 

Gartner: Ganz ehrlich: Ich führe da keine Diskussionen, weil die nicht zielführend sind. Das erübrigt sich für einen Menschen, der schon monatelang Covid-Patienten pflegt und sieht, was da passiert. Ich habe aber vollstes Verständnis für Leute, die mit den Maßnahmen hadern, weil sie in ihrer Existenz bedroht sind.

 

Zu Beginn der Pandemie haben Leute für Menschen wie Sie geklatscht, um Wertschätzung auszudrücken. Was wünschen Sie sich heute?

 

Gartner: Das Allerwichtigste ist, dass die Pandemie ernst genommen wird und dass Akzeptanz für die Pflegeberufe besteht und anerkannt wird, was an diesem Beruf alles dranhängt.

 

Erinnern Sie sich an einen Moment in diesem Corona-Jahr, den Sie nie vergessen werden?

 

Gartner: Es gibt viele Momente: Wenn zum Beispiel zuvor schwerstkranke Menschen wieder von der Intensivstation zu uns zurückverlegt werden. Das ist eine Riesenfreude. Oder wenn Covid-19-positive Patientinnen bei uns entbinden und wir Säuglinge auf der Station sehen.

 

Können Sie der Pandemie auch etwas Gutes abgewinnen?

 

Gartner: Das fällt mir schwer. Im Alltag tat es wohl manchmal gut, dass unser Leben mal runtergefahren wurde und auch mehr an andere Menschen gedacht wird.