Festpredigt am Nikolaustag (6.12.2024) in Mindelstetten


Die neuesten Zahlen sagen uns, dass in Deutschland die Zahl der Bekenntnislosen stetig steigt. Zur Zeit liegt sie bei rund 43 Prozent. 48 Prozent gehören dem christlichen Glauben an und 9 Prozent sind andersgläubig. Es sind also weniger als die Hälfte der Einwohner Deutschlands auf irgendeine Weise christlich geprägt, mitlaufend oder sogar bekennend.

 

Heutzutage ist es mittlerweile leider ja so geworden, dass man schief, mitleidig oder sogar aggressiv angeschaut wird, wenn man sagt, dass man katholisch ist. Wir sind mit unserem katholischen Glauben und seinen schönen Bräuchen aufgewachsen und erleben uns selbst immer mehr entfremdet von unserem Glauben und unserer Kirche. Das Glaubensleben ist in unserem Land in eine ernste Krise geraten, nicht nur wegen der selbstgemachten Skandale der Kirche, sondern vor allem, weil Gott und das Bekenntnis zu ihm immer weniger in unserer Gesellschaft vor kommt.

 

Jeder Xbeliebige kann dich für deinen Glauben kritisieren, den er selbst gar nicht kennt und deshalb auch gar nicht weiß, warum wir nicht nur weiter zu unserer Kirche stehen, sondern große Kraft und festen Halt aus dem Glauben schöpfen. Ständig wird gefordert, dass sich die Kirche verändern muss, um im 21. Jahrhundert endlich anzukommen.

 

Ich will die Frage umdrehen: Was kann denn das 21. Jahrhundert von gläubigen Menschen lernen? Von Menschen, die in ihrem Glauben Hilfen gegen die Atemlosigkeit unserer Zeit, gegen ihre Geschäftemacherei, ihr Lautsein, ihren Egoimus, ihre Hoffnungs- Ziel- und Sinnlosigkeit und Leere finden. Unser Glaube schenkt uns Heilmittel gegen Geistlosigkeit und Angst, neue Zwänge und Orientierungslosigkeit, Nur-um-sich-selbst-kreisen und brutalem Über-Leichen-Gehen.  

 

Unser Glaube verschönert unser Leben, er gibt ihm Stabilität, Orientierung und eine Tiefe, die ein Leben ohne Gott gar nicht geben kann. Eine ganz besondere Freiheit schenkt er uns und eine Geborgenheit in der Haus- und Heimatlosigkeit dieser Welt. Er setzt uns in Verbindung mit Menschen, deren Leben sowas von gelungen ist, weil sie im Schweren aushalten lernten und so “durchsichtig” auf einen tieferen Sinn und Gott wurden. Wir kennen solche Menschen. Denken wir an unsere Eltern oder Großeltern, bekannte oder unerkannte Persönlichkeiten und vor allem die Menschen, die wir Selige und Heilige nennen.

 

Wir feiern heute am Herz-Jesu-Freitag das Patrozinium der Pfarrei von Mindelstetten. Der Patron ist kein Geringerer als der hl. Nikolaus, den wir alle seit Kindesbeinen sehr gut kennen und der bis heute einer der beliebtesten Heiligen in der orthodoxen und der katholischen Kirche ist. Wir dürfen dies an dem Ort tun, wo die bayerische Heilige Anna Schäffer lebte, die durch ihr Vorbild im Leiden und Lieben unzähligen Menschen Trost und Hilfe gab und bis heute gibt und bei uns auch einen festen Platz in unseren Herzen hat.

 

In dieser Predigt möchte ich diese beiden Heiligen, Mann und Frau, Bischof und Magd, Heiliger der Nächstenliebe und Heilige des sinnvollen Duldens von Leid miteinander verbinden und deren Botschaft für uns fruchtbar werden lassen.

 

Nikolaus von Myra lebte im dritten/vierten Jahrhundert und wirkte in der heutigen Türkei. Wie in der Kirche sinnvoll entschieden und überliefert feiern wir heute am 6. Dezember seinen Todestag, nach unserem Glauben seinen Geburtstag für den Himmel. Begraben wurde er in Myra, dem heutigen Demre. Seine Gebeine wurden im Jahr 1087 von italienischen Seefahrern geraubt und nach Bari in Süditalien gebracht, wo sie bis heute in der Basilika San Nicola verehrt werden. Sein in Myra aufgebrochener und leerer Sarkophag wird noch heute in der restaurierten Nikolausbasilika in Demre von orthodoxen Wallfahrern verehrt.

Viele legendäre Erzählungen umranken diesen beliebten Volksheiligen, die vor allem seine hilfsbereite und menschenfreundliche Art widergeben. Ich möchte hier nur drei erwähnen.

 

Die erste, uns wohl allen bekannte, ist die Legende von den drei Goldklumpen oder drei Geldsäckchen, die Nikolaus an drei aufeinander folgenden Tagen aus seinem eigenen Erbe einem verarmten Edelmann heimlich des Nachts in sein Haus wirft. Dieser hätte sonst seine drei Töchter verkaufen müssen, um überleben zu können. Oft wird das Geld oder Gold auch als drei goldene Äpfel dargestellt. Daraus entwickelte sich der Brauch, dass man Socken oder Stiefel vor die Türe oder an den Kamin stellt, damit Nikolaus des Nachts sie mit guten Gaben – Plätzchen, Obst, Nüssen – füllen konnte. Der Weihnachtsmann, die Werbefigur von Coca Cola, übernahm dann diesen Brauch, der bis heute vor allem in den USA sehr beliebt ist.

 

Eine zweite Legende erzählt von einer wunderbaren Totenerweckung. Drei wandernde Schüler fanden in einem einsam gelegenen Hause Herberge. Der Wirt, der bei den Schülern Geld vermutete, ermordete sie des nachts mit Hilfe seiner Frau. Da kommt der hl. Nikolaus in der Gestalt eines Bettlers, bittet um Unterkunft und überführt die Schuldigen ihres Verbrechens. Auf ein Gebet des Heiligen erscheint ein Engel und verkündet, dass die drei Schüler zum Leben zurückgekehrt seien.

 

Eine dritte Legende erzählt davon, dass der hl. Nikolaus eine Hungersnot mit einem Kornwunder beendete. Als über die Stadt Myra eine große Dürre kam, folgte bald eine Hungersnot. Im Hafen der Stadt befand sich ein mit Getreide voll beladenes Schiff. Doch die Seeleute durften nichts davon abgeben. Aus Angst vor dem Kaiser, der auf jedes Getreidekorn bestand, gaben sie nichts heraus. Der hl. Nikolaus konnte sie mit dem Versprechen, dass bei der Ankunft des Kaisers nichts fehlen würde, überreden, den Menschen von Myra etwa Getreide abzugeben. Die Bewohner Myras konnten auf wunderbare Weise zwei Jahre davon leben und der Besatzung fehlte kein einziges Korn.

 

Wenn die Botschaft dieser Geschichten auch etwas dick aufgetragen ist, Legenden haben immer einen gewissen Wahrheitsgehalt. Teilen und damit Leben retten, die Wahrheit an´s Licht bringen und dadurch Totes zu neuem Leben bringen und die Neuauflage des Brotwunders Jesu, der die 5.000 mit fünf Broten und zwei Fischen sättigte … und es blieb noch sehr viel übrig.

 

Die letzte Geschichte steht auch für das Geheimnis der Eucharistie, wo aus Brot und Wein Jesus auf wunderbare Weise in seinem Leib und Blut lebendig wird und sich unter uns in der Kommunion verteilt.

 

Genau dieses Geheimnis war der hl. Anna Schäffer so wichtig. Sie drückte es so aus: „Die Sonne meines Lebens ist Jesus im heiligsten Sakrament!“ Durch die tägliche Kommunion konnte sie nicht nur ihre unerträglichen Schmerzen und ihre unbewegliche Bettlägrigkeit ertragen, sondern sie konnte sie für andere sinnvoll fruchtbar machen. Immer wieder sagte sie: „Mit Jesus vereint, wird jede Bürde leicht zu tragen; denn ER schenkt uns in der heiligen Kommunion die nötige Kraft dazu.“

 

In ihrer „Leidenswerkstatt“ – so nannte sie ihr Krankenlager – fand sie ihre besonderen Talente, die sie ihre „drei Himmelsschlüssel“ nannte.

Der größte darunter ist aus reinem Eisen und von schwerem Gewicht. Das ist mein Leiden.

Der zweite ist die Nadel“ (damit meinte sie ihre Näh- und Stickarbeiten).

Und der dritte Himmelsschlüssel ist der Federhalter (das war ihr ausgiebiges Briefapostolat).

Mit all diesen Schlüsseln will ich täglich fort arbeiten, um das Himmelstor öffnen zu können. Und jeder Schlüssel soll mit drei Kreuzlein und Kränzlein verziert sein: mit Gebet, Abtötung und Selbstverleugnung.“

 

Anna Schäffer beantwortete unzählige Briefe von Rat- und Trostsuchenden, die sie nicht aufsuchen konnten. Nicht selten legte sie von ihr verfasste Trost- und Glaubensgedichte bei. Vom Herzen her schrieb sie mit ihrer schönen Schreibschrift. Sie selbst sagt: “Ich schreibe nur immer so, wie’s mir im Herzen ist. Was würde es nützen, wenn ich ganze Bücher schreiben würde und meine Seele wäre weit entfernt von dem Geschriebenen? Bleiben wir ganz klein in den Augen aller, das macht glücklich und bringt uns großen Herzensfrieden.”

 

So viele Menschen zerbrechen an ihrem Schicksal, ihren Krankheiten, ihrem Leiden. Die hl. Anna Schäffer zeigt uns einen anderen Weg, nämlich dass man sinnlosem Leiden mit dem Blick auf Gott einen Sinn für sich selbst und andere geben kann. So etwas können nur gläubige Menschen! 30 Operationen musste diese Frau zur damaligen Zeit ohne vernünftige Anästhesie über sich ergehen lassen. 25 Jahre war sie bettlägrig. Sie kann uns zeigen, wie auch wir unsere Fragen, unsere Not, unsere Leiden mit Gottes Hilfe in Segen verwandeln können.

 

Als Krankenhausseelsorger kann ich bestätigen, dass Menschen, die an Gott glauben – nicht vom Kopf, sondern vom Herzen her – , auch zu so etwas fähig sind. Bei nicht wenigen Schwerkranken entdecke ich ein Bild von der hl. Anna Schäffer oder ein Kettchen mit ihrem Bildnis um den Hals. Der Gott- und Jesusgläubige hat einen Schatz, der ihm hilft, über den Tellerrand seiner Not zu blicken. Der bekannte Benediktinerpater Anselm Grün nennt dies so: “Gott kann in der Krankheit an mir handeln, indem er mich heilt (oder tröstet), aber auch, indem er mich auf die eigentliche Wirklichkeit hinweist. Was macht mein Leben aus, was gibt ihm seinen Wert, worauf kommt es letztlich an? In der Krankheit erfahre ich, dass das Eigentliche nicht meine Kraft und meine Gesundheit ist, sondern die Durchlässigkeit für Gott. Es kommt nicht darauf an, was ich in meinem Leben alles vorweisen kann, wie stark ich bin, wie vielen Menschen ich geholfen habe, sondern allein, dass ich mich und mein Leben Gott übergebe, dass ich mich ihm zur Verfügung stelle, mich ihm hinhalte und es ihm überlasse, was er mit mir in mir wirken will und wie lange er durch mich sein Wort in die Welt sprechen will. Entscheidend ist, dass ich für Gott durchlässig werde.” (vgl. Anselm Grün/Meinrad Dufner, Gesundheit als geistliche Aufgabe, Münsterschwarzach 1989, 15-17; 19; 28; 31)

 

Anna Schäffer von Mindelstetten und Nikolaus von Myra waren Menschen, die sich Gott zur Verfügung stellten und auf ihn hin durchlässig wurden. Dadurch durften sie für unzählige andere Menschen zum Vorbild, zur Inspirationsquelle und zur begleitenden Hilfe werden.

 

“Menschen, die aus der Hoffnung leben, sehen weiter.

Menschen, die aus der Liebe leben, sehen tiefer.

Menschen, die aus dem Glauben leben, sehen alles in einem anderen Licht.” (Lothar Zenetti)

 

Gott möge uns alle hier stärken, dass auch wir transparent auf IHN werden, uns ihm zur Verfügung stellen und dadurch unser Sein und unsere Existenz eine Spur von Segen hinterlassen kann.

Amen.