Predigt am 28. Sonntag, Lj. B – 2021

(Lesung: Weish 7, 7-11; Evangelium: Mk 10, 17-27)


 

Im 10. Kapitel des Markusevangeliums hören wir kleine Geschichten, die uns leicht in Erinnerung bleiben. Es wird von Kindern, von Eheleuten und auch vom Umgang mit dem Reichtum erzählt. Diese und weitere Themen bewegten die Christen von Anfang an und stellen eine Art Weitererzählkatechismus dar. Durch diese alltagstauglichen Lehrstücke konnten die Christen auch vieles über das im Denken und Handeln wirklich Neue bei Jesus Christus lernen und für sich selbst übernehmen.

 

Die Geschichte von dem Mann, der Jesus gerne nachgefolgt wäre, dann aber doch nicht konnte, bewegt jeden, der sie hört. Wollen und nicht können – das kennen wir wohl alle sehr gut. „In das Reich Gottes“ kommen ist also anscheinend gar nicht so leicht. Da gibt es vieles, was uns davon abhält, innen und außen.

 

Der Mann, der vor Jesus auf die Knie fällt und ihn frägt, was er tun muss, um das ewige Leben zu erben, versucht es wenigstens. Es gab einmal Zeiten, wo für gläubige Menschen, wie z.B. Juden, Moslems oder Christen, das wichtigste überhaupt war, das ewige Leben zu gewinnen. Heute ist dieser Wunsch im Sehnsuchtsranking weit nach hinten gerutscht. Was Menschen heute primär wollen ist ein gutes Leben im Diesseits, keine Krankheit, keine Not, keine Sorgen, nur Glück und Wohlergehen.

 

Kann ich gut verstehen, aber was ist dann, wenn es doch halt anders kommt, das Schicksal einen hart beutelt, Krankheit(en) einen mürbe machen und das Leben gar nicht so glücklich verläuft? Da wäre es wichtig gewesen, schon in guten Zeiten nicht nur in Materielles investiert zu haben, sondern in Geistiges, in etwas, was einem Nahrung gibt, wenn sonst nichts mehr nährt.

 

Das Eigentliche, das wirkliche Glück, das „Reich Gottes“, das ewige Leben, das können wir nicht erwerben oder dies und das dafür tun, so wie der Mann fragte: „Was muss ich tun, um das ewige Leben zu gewinnen?“

Es geht nicht um Leistung, sondern es geht darum, ein weises Herz zu bekommen, wie es auf sehr schöne Weise die Worte der heutigen Lesung ausdrücken: „Alles Gold erscheint neben der Weisheit wie ein wenig Sand und Silber gilt ihr gegenüber wie Lehm.“ Und wer meint, dass „Hauptsache gesund!“ der höchste aller Werte ist, dem sagt die Lesung: „Mehr als Gesundheit und Schönheit liebte ich sie und zog ihren Besitz dem Lichte vor; denn niemals erlischt der Glanz, der von ihr ausstrahlt.“

 

Die wahre Weisheit ist es, sein Herz an die richtigen Dinge zu hängen, denn wo dein Herz ist, da ist dein Schatz. Weisheit hilft, mit dem Besitz von Gütern oder auch der Gesundheit so umzugehen, dass man nicht von ihm besessen ist. Damit wird der Reichtum nicht abgewertet – ganz im Gegenteil. Doch die große Frage ist eben, wie klug man mit dieser Gabe Gottes umgeht.

 

Wunderschön empfinde ich den Satz im heutigen Evangelium, den man leicht überlesen kann: „Da sah ihn Jesus an, umarmte ihn …“ Jesus gewann den Mann mit seiner Sehnsucht nach mehr, nach echtem Leben hinter der Fassade lieb und umarmte ihn. Das wirklich Schöne und Befreiende an diesem Bild ist, dass ich bei Jesus und somit bei Gott zuerst nicht etwas leisten muss, sondern nur die richtige Einstellung, die richtige Sehnsucht haben soll. Ich muss Gott nicht besänftigen, ihn gnädig stimmen, irgendetwas tun, um von ihm geliebt zu werden. Jesus umarmt den Mann wegen seinem Wollen, wirklich leben zu wollen.

Und dann sagt er die Worte, die den Mann schockieren und leider traurig zurücklassen, weil er sie nicht umsetzen kann: „Geh, verkaufe, was du hast, gib es den Armen und du wirst einen Schatz im Himmel haben; dann komm und folge mir nach!“ Das will er nicht und dadurch kann er es auch nicht. Er möchte die scheinbare Sicherheit des Lebens nicht aufgeben für die Unsicherheit der Nachfolge Jesu.

 

Wenn wir ehrlich sind, dann verstehen wir ihn nur allzu gut, denn wenn du alles auf eine Karte setzt und das Spiel schlecht ausgeht, dann hast du alles verloren. Niemand wird dir dann helfen…

Nur ganz wenige können diesen Stachel der Besitzlosigkeit, der von Anfang an im Fleisch der Christenheit steckt, aushalten, ertragen und darin sogar ein Glück finden, gleichsam das Einfallstor zum „Reich Gottes“ und zum ewigen Leben. Vor ein paar Tagen haben wir so einen Menschen gefeiert, einen der ganz Großen im Reich Gottes, den hl. Franz von Assisi. Er lebte die Besitzlosigkeit in einer Radikalität, die einem den Atem stocken lässt. Und er wurde nicht nur „weise“ im Sinne der heutigen Lesung, er wurde heil, heilig, ganz, ein Juwel, der von innen heraus leuchtete und es bis heute tut.

 

Eine Geschichte aus dem Hinduismus, wo Franz von Assisi auch als Erleuchteter verehrt wird, erzählt uns von der Gabe der Weisheit, die frei macht von allen falschen Begehrlichkeiten und dadurch Unfreiheiten.

 

Der Sannyasi[1], ein indischer Weiser, hatte den Dorfrand erreicht und ließ sich unter einem Baum nieder, […] als ein Dorfbewohner angerannt kam und sagte: „Der Stein! Der Stein! Gib mir den kostbaren Stein!“ „Welchen Stein?“ fragte der Sannyasi.

„Letzte Nacht erschien mir Gott Shiva im Traum“, sagte der Dörfler, „und sagte mir, ich würde […] einen Sannyasi finden, der mir einen kostbaren Stein geben würde, so dass ich für immer reich wäre.“

Der Sannyasi durchwühlte seinen Sack und zog einen Stein heraus.

„Wahrscheinlich meinte er diesen hier“, sagte er, als er dem Dörfler den Stein gab. „Ich fand ihn vor einigen Tagen auf einem Waldweg. Du kannst ihn natürlich haben.“

Staunend betrachtete der Mann den Stein. Es war ein Diamant. Wahrscheinlich der größte Diamant der Welt, denn er war so groß wie ein menschlicher Kopf.

Er nahm den Diamanten und ging weg. Die ganze Nacht wälzte er sich im Bett und konnte nicht schlafen. Am nächsten Tag weckte er den Sannyasi bei Anbruch der Dämmerung und sagte: „Gib mir den Reichtum, der es dir ermöglicht, diesen Diamanten so leichten Herzens wegzugeben.“

Antony de Mello SJ – Der Diamant (https://www.kirche-im-swr.de/?page=beitraege&id=2361)

 

Was muss ich tun, um das ewige Leben zu gewinnen?

Lassen wir diese Frage auch heute an uns heran, verdrängen wir sie nicht.

Diese Frage darf unser ganzes Leben prägen. Die Antwort wird jener Weg sein, den wir bereit sind zu gehen. Jesus wird uns dabei umarmend helfen. Amen.

 

[1] Sannyasin bezeichnet im Hinduismus einen Menschen, welcher der Welt entsagt hat und in völliger Besitzlosigkeit lebt.