Dem Leiden Sinn verleihen

 

(leicht veränderter Bericht von Josef Bartenschlager, in: Der Sonntag, Ausgabe 11, im Donaukurier vom 17./18.03.18, S. 2)

 

Kreuzwege finden sich an zahlreichen Orten. Sie spiegeln das Leiden und Sterben Jesu Christi wider und laden die Gläubigen zu Betrachtung und zur Reflexion ein. Das Beten des Kreuzweges ist fester Bestandteil der christlichen Fastenzeit als Vorbereitung auf das Osterfest. In nahezu jeder Kirche ist ein Kreuzweg zu finden, Gläubige können die Stationen aber auch unter freiem Himmel abgehen. Einer der ältesten im Bistum Eichstätt befindet sich bei Buchenhüll, auf einem Waldweg, der zur dortigen Wallfahrtskirche Mariä Himmelfahrt führt. Christoph Kreitmeir, der seit Juli 2017 als Priester und Klinikseelsorger amKlinikum Ingolstadt wirkt, hat nun einen virtuellen Kreuzweg geschaffen, der in einem gravierenden Punkt aus demRahmen fällt. Das liegt nicht etwa daran, dass man diesen Kreuzweg nicht an einem geografischen Ort findet, sondern ihn sozusagen immer bei sich tragen kann – sofern man ein Smartphone, Tablet oder ein ähnliches Gerät besitzt. Es ist vielmehr die Perspektive, mit der einem dieser Kreuzweg entgegentritt: Jesus spricht den Betrachter aus der Ich-Perspektive an, berichtet von seinem Leiden aus seiner persönlichen Sicht. So heißt es in der ersten Station, die traditionell mit „Jesus wird zum Tod verurteilt“ überschrieben ist, hier: „Ich wurde zum Tod verurteilt.“ Der Betrachter erkennt: Jesus blickt nach seiner Auferstehung aus dem Grab heraus zurück auf die Stationen seines Leidensweges.

 

Abseits herkömmlicher Pfade

 

Kreitmeir ist klar, dass er damit herkömmliche Pfade verlassen hat: „Meines Wissens gab es so etwas bisher nicht im deutschsprachigen Raum. Das liegt an der Scheu, sich in die Person Jesu zu versetzen.“ Dass er diese Zurückhaltung abgelegt hat, liegt in der Vita und der Lebenserfahrung des Priesters begründet. Kreitmeir, der nicht nur Theologie, sondern auch Sozialpädagogik studiert hat, und über drei therapeutische Ausbildungen verfügt, hat sich intensiv mit Viktor Emil Frankl befasst, den er selbst noch persönlich kennengelernt hat. Frankl war Jude und ein bekannter Psychiater, der in Österreich lebte. Nach dem „Anschluss“ Österreichs an Nazi-Deutschland wurde Frankl die Möglichkeit geboten, in die USA zu emigrieren. Seine Familie hätte er jedoch zurücklassen müssen – Frankl lehnte die Ausreise ab. Er wurde deportiert, überlebte vier Konzentrationslager, darunter Auschwitz, seine Familie aber wurde ermordet. Bemerkenswert ist die Schlussfolgerung, die Frankl aus Leid und Vernichtung zog: Das Leben habe Sinn, unter allen Umständen, auch in der Hölle von Auschwitz. Mit dieser Aussage setzte sich Kreitmeir intensiv auseinander: „Das hat mein Leben stark geprägt.“

Aus der Sinnperspektive

 

 Im Februar 2017 zog der Geistliche aus dem Kloster Fulda, in dem er gelebt hatte, aus, und wohnte eine Zeit lang bei Freunden in Bamberg. Auf seinen Streifzügen entdeckte er den frisch renovierten Kreuzweg von Dörfleins bei Hallstadt. Er gefiel ihm, und wanderte ihn einige Male ab.

Der Pater sah ihn als Spiegel einer Wahrheit, die die Menschen bewegt. Da kam ihm die Idee, „das Ganze von der Auferstehung her und aus der Sinnperspektive zu betrachten“, schildert der Geistliche. Dabei setzt Kreitmeir nicht allein auf die Macht der Bilder, die von Claudia Kriesche von www.recordare.de gemacht wurden, und der Texte. Damit man den Kreuzweg mit allen Sinnen erfassen kann, ist er auf beeindruckende Weise mit Musik unterlegt. „Resurrection“ stammt aus dem Film „The Passion of the Christ“. Komponist ist John Debny.

Die Beschäftigung mit dem Kreuzweg bedeutet gleichzeitig eine psychologische, philosophische und spirituelle Reflexion. In seiner Arbeit als Krankenhausseelsorger hat Kreitmeir festgestellt, dass Kranke, gerade, wenn sie gläubig sind, die Betrachtung des Kreuzes als spirituelle Hilfe erfahren. „Viele Menschen erfahren durch ein Bild, des Kreuzes oder von Maria, Hilfe“, sagt der Priester. „Sie sehen: ,Ich bin nicht allein’.“ Deshalb ist er auch dankbar, dass in den Krankenzimmern noch Kreuze hängen. „Das ist nicht mehr selbstverständlich“, wie er sagt.

 

Wer sich auf den virtuellen Kreuzweg einlassen will, muss bereit sein, sich zu öffnen. Es sind harte Bilder, die das Geschehen in aller Brutalität widergeben, und es sind keine süßlich-erbaulichen Texte. Vielmehr wendet sich Jesus direkt an den Betrachter und solidarisiert sich gerade mit dessen negativen Erfahrungen. Bei diesen Texten kann sich niemand wegducken. Verdrängung funktioniert hier nicht. Jeder muss sich auf einer sehr persönlichen Ebene damit auseinandersetzen und in einen Dialog mit Jesus eintreten. Der Kreuzweg vermittelt gleichzeitig Hoffnung und verleiht dem Leid Sinnhaftigkeit. So heißt es bei der III. Station, die mit „Ich fiel zum ersten Mal unter dem Kreuz“ überschrieben ist: „Jetzt lag ich im Staub und wurde von Schaulustigen begafft, beobachtet, verspottet. Die Soldaten schlugen auf mich ein, anstatt mir zu helfen.“ So schildert Jesus seine Situation, doch dann spricht er den Betrachter an: „Es gibt so viel Leid auf dieser Welt: körperlichen Schmerz, seelische Qualen und Sinnlosigkeitsgefühle. Ich habe dies alles bewusst getragen aus Liebe zu Dir und Deinen Schmerzen. Ich will, dass Du weißt, dass ich in allem – in Freud und im Leid – an Deiner Seite stehe und mittrage.“

 

Das ist schließlich auch das Anliegen von Christoph Kreitmeir, dem es um die entscheidende Frage geht, wie der Mensch sein Schicksal und vor allem sein Leiden besser ertragen kann. Letztlich läuft es auf das Postulat von Viktor Frankl hinaus: Das Leben hat Sinn – unter allen Umständen. 

 

Der Kreuzweg ist auf der Homepage von Pfarrer Kreitmeir zu finden:

https://www.christoph-kreitmeir.de/.

 

 

 

 

 

 

Pater Christoph Kreitmeir neben einem Bild, das ihm sehr viel bedeutet. Es trägt den Namen "Die Kraft des Kreuzes" und stammt von Angerer dem Älteren.

 

Informationen zu diesem Künstler aus Biburg finden Sie hier: 

https://www.angerer-der-aeltere.de/