Artikel "Der Mensch an der Seite" in der Apotheken Umschau, 15.11.17, 56-58.
Der Mensch an der Seite
Beistand - Moderne Klinik-Seelsorge unterstützt Patienten nach einer schweren
Diagnose – ganz unabhängig von deren Glauben oder Konfession
Ein Unfall oder eine schwere Erkrankung kann ein Leben in einVorher und ein Nachher teilen. Warum trifft es mich? Wie soll ich das ertragen? Wer unterstützt mich? Wo finde ich Halt? Solche Gedanken im Krankenbett können quälend sein. Viele Klinikpatienten sind dann froh, wenn sie mit einem Seelsorger sprechen können. Und dabei muss es längst nicht mehr unbedingt um Gott gehen.
Hinter der Seelsorge im Krankenhaus stehen zwar weiterhin hauptsächlich die beiden großen deutschen Amtskirchen, sie versteht sich aber als Angebot für alle Patienten. Tätig dafür sind Laien wie Priester. „Wir sind Dienstleister. Wir wollen nicht missionieren, sondern die Bedürfnisse der Menschen hören“, sagt etwa Christoph Kreitmeir, katholischer Priester und Seelsorger am Klinikum Ingolstadt. Wenn er mit einem Patienten den Glauben nicht teile, sehe er sich einfach als professioneller Zuhörer. Um dies zu signalisieren, verzichtet er auch öfter auf den typischen weißen Priesterkragen.
Ohne Psalm und Priesterkragen
Sein evangelischer Kollege an der Medizinischen Hochschule Hannover, Lars Wißmann, formuliert es noch deutlicher: „Es braucht keinen Psalm, sondern den Menschen an der Seite. Das ist ein ganz anderer Ansatz als vor 30 oder 40 Jahren.“ Wißmann kümmert sich um Christen aller Konfessionen und auf Wunsch auch um Atheisten oder Andersgläubige, etwa Muslime. Den Trend zur sogenannten interreligiösen Seelsorge kann auch Constantin
Klein bestätigen. Er ist der einzige Professor für „Spiritual Care“ in Deutschland und steht damit hinter einem Konzept, das über klassische Seelsorge hinausgeht.
Spiritual Care hat sich in der weltlichen Hospiz- und Palliativmedizin- Bewegung entwickelt. Vor allem die Britin Cicely Saunders trieb die Idee voran, dass stärker auf die spirituellen Bedürfnisse von Patienten am Lebensende eingegangen wird – und zwar nicht nur von speziellen Seelsorgern, sondern vom gesamten Personal, das den Sterbenden betreut. „Das muss nicht immer ein langes Gespräch sein. Entscheidend ist die Haltung“, erläutert Klein. Einfache Fragen nach dem Befinden, eine Wachheit für den ganzen Menschen. Der Ansatz ziele darauf ab, dass jeder Mensch Seelsorger sein könne.
Spiritualität hat für Klein viel mit der Suche nach dem inneren Wesenskern zu tun, mit der Frage: Was macht mein eigenes Selbst aus? Es gehe um die Verbundenheit mit anderen Menschen und der Natur, für Gläubige zudem mit Gott. „Deshalb wird Spiritualität und Seelsorge im Prinzip auch gelebt, wenn man sich mit Freunden über grundlegende Themen austauscht“, so Klein.
Das Spiritual-Care-Konzept findet zunehmend Anklang über die Palliativmedizin hinaus. Bei Constantin Klein hören Medizinstudenten entsprechende Vorlesungen, die Kirchen bieten Schulungen an. „Zu uns kommen etwa interessierte Ärzte, Pfleger, Physiotherapeuten, Logopäden und auch Putzfrauen“, sagt Pastor Wißmann. Dabei zieht offenbar der Begriff Spiritualität. „Das klingt schicker als Seelsorge“, sagt Klein. Inhaltlich sind die Unterschiede aber gering.
In den Gesprächen mit Patienten orientieren sich viele Klinik-Seelsorger an einem Schema in vier Schritten. Was ist passiert? Wie geht es dir? Wer ist bei dir? Wie geht es weiter?
Den größten Raum nehme die zweite Frage ein, so Wißmann.
Mitgehen in den Schmerz
Wenn der Patient sich darauf einlassen will, bekommt er bei seinem Seelsorger einen sicheren Raum für Emotionen. Wißmann: „Ich halte die Krise, die Ratlosigkeit, die Furcht, Weinen und Wortlosigkeit mit aus.“ Es gehe darum, dem anderen Menschen Resonanz zu bieten. In den Schmerz mitzugehen, statt sich in Beschwichtigungen zu flüchten.
Die Krankheit als erzwungene Auszeit vom Alltagstrott öffnet den Blick auch auf existenzielle Lebensthemen. Seelsorger haben es oft mit Gefühlen von Schuld und Reue zu tun. Wenn das bisherige Leben sich auflöst und die Trauer über die Vergänglichkeit groß ist, lenkt Priester Kreitmeir den Fokus auf die „Früchte der Vergangenheit“, auf all das Positive, das jemand erleben durfte.
Auch unbewältigte Konflikte kommen hoch. Typisch sei der Wunsch nach Versöhnung mit Familienangehörigen. „Schwerkranke wollen oft eine Lebensbeichte ablegen“, so Kreitmeir. Als Priester kann er dann direkt vom Gespräch zum Sakrament der Beichte übergehen. Religiösen Patienten hilft es, wenn sie von Schuld losgesprochen und in ihrem Gottvertrauen bestärkt werden.
Spirituelles passiert auch abseits bekannter Rituale. Wißmann schlug einer atheistischen Familie vor, jeder solle einen Satz aussprechen, den der gerade verstorbene Vater noch gesagt
haben könnte. Der Sohn habe sich damit eine Art Segenswort geholt, der Abschied fiel leichter. „Damit wurde die Grenze zwischen Tod und Leben noch einmal überschritten.“
An vielen Kliniken gibt es mittlerweile auch spezielle Seelsorge-Angebote für muslimische Patienten, meist sind dafür ehrenamtliche Mitarbeiter tätig. Am Uniklinikum Heidelberg arbeitet der hauptamtliche muslimische Seelsorger Rachid Aboulfath. An der Klinik werden neben hier lebenden Muslimen auch viele Patienten behandelt, die aus arabischen Ländern
eigens zur Therapie anreisen, sowie Flüchtlinge. „Sie fühlen sich im Klinikbetrieb oft hilflos, verstehen bestimmte Vorgänge nicht“, sagt Aboulfath.
Zwischen den Kulturen
Bei der Arbeit des gebürtigen Marokkaners steht deshalb oft weniger der Koran im Vordergrund, sondern eher Praktisches. „Häufig haben Angehörige muslimischer Patienten zum Beispiel Sorge, dass beim Sterben die gebotenen religiösen Rituale nicht eingehalten
werden.“ Dann sieht sich Aboulfath als „Kultur-Mittler“, hilft Ärzten und Pflegepersonal etwa mit Informationen über die Ritualwäsche nach dem Tod eines muslimischen Patienten.
Immer wieder kommt es zu Missverständnissen und falschen Annahmen. So habe sich zum Beispiel ein Patient gefragt, ob sein Lungenkrebs nicht eine Strafe Allahs sei und er die Therapie besser abbrechen solle. Dank Aboulfath konnte es weitergehen. „Dem Mann half es, dass man ihm zuhörte und er über seine Sorgen sprechen konnte. So konnte er eine Entscheidung für das ihm geschenkte Leben treffen.“
Silke Droll