Gemeinschaft nicht aus den Augen verlieren
Interview in der "Kleinen Zeitung" (Graz) vom 21.02.2016
zum Thema "Mitmenschen"
Die Fastenzeit soll auch eine Zeit für sich und die Mitmenschen sein. Warum ist das so wichtig für uns?
PATER CHRISTOPH KREITMEIR: Der Mensch ist ein Beziehungswesen. Er kann auf Dauer nicht alleine leben. In unserer modernen Gesellschaft werden wir aber permanent in Singlesituationen geworfen: Etwa beim Arbeiten: Oft gibt es da nur noch den Computer und mich. Auf der anderen Seite finden wir kaum noch Zeit für Kontakte und Beziehungen, die mich einmal Mensch sein lassen. Ich kenne eine Familie aus der ehemaligen DDR, die nach dem Fall der Mauer in die BRD zog. Alle Mitglieder arbeiten woanders, doch jedes Wochenende besuchen sie sich. Das finde ich schön. Gerade die Fastenzeit gibt uns die Möglichkeit, Beziehungen, Freundschaften, das Verhältnis zu mir und zu Gott neu zu pflegen. Die Fastenzeit ist eine Zeit, in der ich mich fragen kann: Was glaube ich, wer ist dieser Gott für mich, worin liegt der Sinn meines Lebens, woher komme ich, wohin gehe ich? Wenn ich diese Fragen wieder an mich heranlasse, wird sich etwas ändern.
Wieder einen Anstoß bekommen, Gott zu suchen – wie stelle ich das an?
PATER CHRISTOPH: Da empfehle ich die Medien. Etwa Zeitungen. Aber auch das Internet. Da kann man etwa Fastenkalender finden. Ich habe einen Fastenimpuls abonniert, der mich jeden Tag aufs Neue überrascht und beschenkt. Man kann auch in eine Buchhandlung gehen und Ausschau nach Literatur halten, wie man so eine Auszeit gestalten kann. Auch religiös wird einiges angeboten: Fastenpredigten oder Gottesdienste mit Licht- und Musikakzenten. So kann ich Beziehung zu mir selbst und zu anderen, aber auch meine religiösen Bedürfnisse pflegen.
Wie leben Sie im Kloster Vierzehnheiligen Gemeinschaft?
PATER CHRISTOPH: Wir haben zwei Abende, an denen wir uns bewusst als Gemeinschaft treffen. Da werden Dinge besprochen, die liegen geblieben sind, aber wir spielen auch. Ich spiele mit einem Bruder, der einen Schlaganfall gehabt hat und nicht mehr richtig reden kann. So erleben wir Gemeinschaft.
Wie kann Beziehungspflege in einer Gesellschaft gelingen, die immer pluraler wird?
PATER CHRISTOPH: Ich sehe das größere Problem darin, dass der Mensch von der Wirtschaft her gedacht wird. Alles, was der Kosten-Nutzen-Analyse nicht standhält, darf nicht sein. Kranke, Alte, Behinderte werden problematisiert. Dieses Denken müssen wir entlarven, denn bei Wirtschaftsdenken und Selbstoptimierung fällt der Mensch selbst hinten runter. Hinzukommt das Diktat, selber für sein Glück verantwortlich zu sein. Daran zerbrechen auch viele Partnerschaften – das kann niemand schaffen. Und dann ist da noch der Wertekodex, der sich geändert hat: Alles ist erlaubt. Der frühere Papst Benedikt XVI. sprach von der „Diktatur des Relativismus“, das heißt alles ist gleich gültig, also ist auch alles gleichgültig.
Was heißt das in Bezug auf die Flüchtlinge?
PATER CHRISTOPH: Heute heißt es: Die passen nicht zu uns, die haben einen anderen Hintergrund. Aus der anfänglichen Offenheit gegenüber Flüchtlingen ist Abschottung geworden. Die Politik spricht von Leitbildern, von klaren Werten. Die Diskussion ist nicht verkehrt, wird aber in eine falsche Richtung gelenkt. Und Europa ist nur ein Schönwetter-Haus. Jedes Land denkt letztlich nur an sich. Ich bewundere da Kanzlerin Merkel. Sie setzt auf die Solidarität Europas und wird von allen, mittlerweile auch von Österreich, im Regen stehen gelassen.
Gibt es eine Grenze?
PATER CHRISTOPH: Ja, die Grenze heißt Recht und Verantwortung. Verantwortung muss der Gegenpol zur Freiheit sein. Nehmen wir mal die Silvesternacht in Köln. Wir haben Grundwerte und an diese muss sich jeder halten, der zu uns kommt. Meine Freiheit endet dort, wo die des anderen überschritten wird. Polizei und Gerichte sind dazu da, das auch durchzutragen.
Und die Hasspostings, die auf vielen Internetseiten zu finden sind?
PATER CHRISTOPH: Auf Onlineportalen ist man anonym und das erlaubt dem Menschen unmöglich zu sein, er lässt auf gut bayrisch „die Sau raus“. Viele sind aber auch überfordert von dem Fremden, das über uns hereinbricht. Integration ist gut, sie braucht aber Zeit, Geld und Engagement. Die Politik kommt nicht hinterher und die Medien betonen diese Hilflosigkeit der Politik auch noch. Bei den Menschen bleibt das Gefühl zurück: Wir müssen selber Bürgerwehren bilden. Hier muss entgegengewirkt werden: der Einzelne muss merken, dass der Staat wieder seine Grenzen und seine Bürger schützt.
Welche Rolle kann da Kirche spielen?
PATER CHRISTOPH: Ich finde die Positionierung der Kirchen richtig – auch auf die Gefahr hin, Mitglieder zu verlieren. Denn Kirche ist allumfassend: Unser Gründer, Jesus, war ein Jude, seine Eltern sind geflohen, sie waren also Flüchtlinge. In den Gemeinden sieht man, was dort für Flüchtlinge, aber auch behinderte und kranke Menschen getan wird, da zeigt sich Solidarität und Barmherzigkeit.
Die öffentliche Hand scheint immer mehr Aufgaben an die Kirchen abzugeben.
PATER CHRISTOPH: Im Grundgesetz steht, dass der Staat für all seine Bürger zuständig ist, also auch für Kranke, Alte oder Behinderte. Die Kirche ist zwar von ihrer Struktur her so etwas wie eine zweite Säule in der Gesellschaft und wird es von sich aus tun – das steht auch in der katholischen Soziallehre. Der Staat kann also Unterstützung erbitten, aber nicht fordern.
Wie kann die Gesellschaft wieder solidarischer werden?
PATER CHRISTOPH: Indem wir unser eigenes Leben selbstverantwortlich leben im Blick auf das Gemeinwohl. Und dafür bietet sich die Fastenzeit besonders gut an: Halte ein, halt an, mach eine Auszeit, überlege dir, wo du hinläufst.
P. Christoph im Interview mit Monika Schachner, 21.02.2016, Kleine Zeitung, Graz