Interview mit Pater Christoph Kreitmeir zur Spiritualität
und der aktuellen Studie „Stress bei Seelsorgern“
VIERZEHNHEILIGEN Von Überlastung bei Seelsorgern ist schon lange die Rede. Jetzt liegen stichhaltige Fakten dazu auf dem Tisch. Für die bundesweit erste derartige Untersuchung befragte eine Forschergruppe um den Münchner Jesuitenpater Eckhard Frick rund 8600 Priester und Diakone sowie Pastoral- und Gemeindereferenten. Dabei untersuchten sie Berufszufriedenheit, Engagement, Gesundheit, Burnout-Bedrohung, Stress und Beziehungsstruktur von katholischen Seelsorgern. Prof. Christoph Jacobs, selbst Priester und Psychologe, stellte kürzlich die ersten Ergebnisse vor. Unsere Redaktion sprach mit Pater Christoph Kreitmeir aus dem Franziskanerkloster Vierzehnheiligen über Stress, Spiritualität und die aktuelle Studie.
OBERMAIN-TAGBLATT: Hat Sie das Ergebnis überrascht, dass die persönliche Spiritualität ein großer Motivator für das seelsorgliche Engagement ist?
PATER CHRISTOPH KREITMEIR: Dieses Ergebnis hat mich nicht überrascht, da ich schon vor Jahren bei mir selbst entdeckt habe, dass mein Engagement als Priester und Seelsorger tiefere Kraftquellen benötigt. Vor gut zehn Jahren entdeckte ich meine persönliche Spiritualität neu und „gieße" diese gezielt wie eine Pflanze, die Hege und Pflege benötigt, damit sie wachsen und gute Früchte hervorbringen kann.
Sie sind der Öffentlichkeit bekannt für Ihre bewegenden Predigten, Ihre Vorträge zu unterschiedlichsten Themen im Bereich von Lebenshilfe und Spiritualität und als Buchautor. Daneben erfüllen Sie „hinter den Klostermauern" viele weitere organisatorische Tätigkeiten. Wie gehen Sie persönlich mit Stress und Überlastung um?
KREITMEIR: Es gab und gibt Zeiten – wie in jedem engagierten Leben -, wo ich wirklich nahe an Grenzen der Erschöpfung herankam und -komme. Hier bin ich achtsam geworden und steuere dann mit gezielten Maßnahmen dagegen. Bewegung an der Luft, das Pflegen von Freundschaften, Entspannung bei einem guten Film, einem Buch oder Musikhören, Kreativität, Abwechslung im Tun, Herausforderung und einfach mal „Fünfe“ gerade sein lassen, helfen mir dabei. Seit einiger Zeit gehe ich immer wieder bewusst in die Stille und die christliche Meditation und schöpfe daraus neue Kraft.
Immer mehr Aufgaben müssen auch im Kloster auf immer weniger Schultern verteilt werden. Welche Wege geht die Gemeinschaft im Franziskanerkloster Vierzehnheiligen, um sich für die Veränderungen zu wappnen?
KREITMEIR: Wir haben hier hervorragende Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, die uns im Kloster, in der Verwaltung, in der Kirche viel abnehmen. Wir Franziskaner verschiedenen Alters tragen miteinander in Vierzehnheiligen die vielfältigen Aufgaben mit einer erstaunlichen und tagtäglichen Kraft. Und trotzdem ... wir könnten hier wirklich Verstärkung brauchen, aber die Personaldecke unseres Ordens wird leider immer dünner. Trotz vielfältiger Belastungen bin ich guten Mutes, dass wir den jeweiligen Zeitumständen entsprechend immer wieder konkrete Lösungen finden werden.
Laut Studie gefährdet nicht nur das Arbeitspensum die psychische Gesundheit der Seelsorger, sondern auch der Mangel an Anerkennung durch andere und an festen sozialen Beziehungen. Ein Drittel der befragten Priester räumte ein, mit der zölibatären Lebensform Probleme zu haben. Kann Einsamkeit krank machen?
KREITMEIR: Das ist nicht neu und wurde durch die Studie jetzt erneut bestätigt. Im Kloster trägt das Gemeinschaftsleben zu einem gewissen Teil. Jeder in der Seelsorge Stehende ist aber selbst dafür verantwortlich, in einem gesunden Netz von Beziehungen zu leben, daraus Kraft und Freude zu schöpfen und krankmachender Einsamkeit gegenzusteuern. Und wenn ihm dies nicht gelingen sollte, dann steht er nicht allein da. Ich durfte in meinem Orden schon öfter erleben, dass unsere Provinzleitung Mitbrüder, denen es nicht mehr gut ging, zu Wegen der Heilung und Neuorientierung motivieren konnte.
Ihr jüngstes Buch trägt den Titel „Sehnsucht Spiritualität". Warum haben Sie dieses Thema für ihr Buchprojekt gewählt?
KREITMEIR: Persönliche Gründe und auch das Hören auf das, was Menschen heute so bewegt und drückt, führten dazu, dieses Buch zu schreiben. „Sehnsucht" und „Spiritualität" sind nämlich zwei große Grundmotivationen des Menschen. Wer an diese Kräfte neu herankommt, wer sie nutzbar macht, dem wachsen immer wieder Lebensmut und Lebenskraft zu. Beim Schreiben hatte ich schon viele Aha-Erlebnisse, die sich in der täglichen Arbeit mit Menschen immer wieder bestätigen. Die Studie (ich bin einer der befragten Seelsorger) bestätigt mich in der Erkenntnis, dass das Finden
und Leben einer tragfähigen Spiritualität zu den wichtigen Säulen eines gelingenden Lebens gehört.
Können Sie sich vorstellen, es in einer neuen Auflage nach der Veröffentlichung dieser Studie zu ergänzen?
KREITMEIR: Ob eine Neuauflage meines Buches „Sehnsucht Spiritualität" auch die Ergebnisse dieser Studie berücksichtigen wird - Sie bringen mich da auf eine gute Idee. Wir werden sehen. Erst vor ein paar Tagen habe ich zusammen mit meinem derzeitigen Verlag ein neues Buchprojekt besprochen, das sich mit dem „Sinn im Leben" beschäftigen wird.
Woraus schöpfen Sie persönlich die Kraft, die in der Seelsorge so wichtig ist?
KREITMEIR: Neben den schon genannten Wegen des Ausgleiches im Alltag, achte ich auf einen freien Tag in der Woche, auf wirklichen Urlaub und auf Oasen der Stille während des Tages.
Sind Sie trotz aller Veränderungen noch zufrieden mit Ihrer Berufswahl?
KREITMEIR: Grundsätzlich empfinde ich mein Tun meist als sinnvoll, bereichernd und andere und mich wirklich weiterbringend. Die Studie belegt ja auch eine größere Arbeitszufriedenheit bei Seelsorgern, wenn sie ihr Tun als sinnstiftend, von sozialer Anerkennung und von guten und überschaubaren Ergebnissen gestützt wissen. Bei mir ist dies Gott sei Dank der Fall, ich habe trotz
so mancher Belastung wirklich Freude an meinem Beruf und meiner Berufung und hoffe, dass meine Gesundheit noch lange mitmacht, diese so unheile Welt durch mein Engagement ein wenig heiler werden zu lassen.
Haben Sie ein Lebensmotto?
KREITMEIR: Eines habe ich Viktor E. Frankl, das andere von Lothar Zenetti übernommen:
„Es kommt nicht darauf an, was wir vom Leben erwarten, es kommt darauf an, was das Leben von uns erwartet." (Frankl).
„Menschen, die aus der Hoffnung leben, sehen weiter. Menschen, die aus der Liebe leben, sehen tiefer. Menschen, die aus dem Glauben leben, sehen alles in einem anderen Licht." (Zenetti).
Sehr geehrte Pater Christoph, danke für das Gespräch.
Artikel und Foto: Birgit Röder im Obermain Tagblatt v. 23.04.2015
Mehr zum Thema finden Sie hier:
www.katholisch.de - So gestresst sind unsere Seelsorger
www.katholisch.de - Spiritualität als Motivator