Wer sich aber selbst erniedrigt...


...wird erhöht werden. - Eine Reportage zum Evangelium

Selbstbewusst zu sein ist eine Kunst. Denn diese Charaktereigenschaft hat nichts mit Arroganz zu tun, sondern mit Demut. Deshalb sind selbstbewusste Menschen auch die besseren Christen.

 

Es war schon spät am Abend und eigentlich wollten alle Pfarrgemeinderäte nach Hause gehen. Sie hatten sich fast drei Stunden lang über das nächste Pfarrfest in der niedersächsischen Kleinstadt unterhalten, das Dienstjubiläum des Mesners, den Missionsarbeitskreis, die Reparaturarbeiten am Dachstuhl der Seitenkapelle. Da meldete sich zum letzten Tagesordnungspunkt „Wünsche und Anträge“ der 42-jährige Fred zu Wort. Er habe, erzählte er, mit ein paar Freunden die Idee, einen Förderverein für die Kirche zu gründen. Das Konzept sei ganz einfach: „Die Mitglieder zahlen jedes Jahr einen Beitrag, der zum Erhalt des Gebäudes verwendet wird. Es können auch örtliche Firmen beitreten, die entsprechend mehr bezahlen.“ Allgemeines Nicken in der Runde. „Gute Idee“, sagte der Pfarrer. „Das gibt es in anderen Gemeinden auch“, wusste die Vorsitzende des Frauenbundes zu berichten. „Wenn niemand etwas dagegen hat“, sagte Fred, „dann berufe ich im Laufe der kommenden Wochen eine Gründungsversammlung ein.“

 

Ein Einwand – nur um des Einwands willen

 

„Halt, halt, junger Mann!“, ging Wolfgang laut dazwischen, der Leiter des Pfarrbüros, der eigentlich längst pensioniert sein könnte, aber auf seinem Posten verharrte. „So einfach geht das nicht, dieses Geld der Leute fehlt uns ja dann an anderer Stelle. Sprechen Sie so etwas bitte in Zukunft vorher mit mir ab. Auf diese Weise mache ich da nicht mit.“ Peng! Nach der Versammlung, draußen auf der Straße, machten die anderen Fred Mut. Wolfgang sei doch immer so, wenn er nicht in alles involviert sei, die Förderverein-Idee sei trotzdem gut, er solle sich nicht aufhalten lassen.

 

"Wer seinen eigenen Wert erkennt, kann so sein, wie wir sind: von Gott geliebte Menschen" (Pater Christoph Kreitmeir)

 

„Ich war damals richtig sauer“, erzählt Fred, „und ich habe dem Pfarrer und dem Leiter des Pfarrbüros eine Mail geschrieben.“ Darin beschwerte er sich, dass gute Initiativen ganz häufig durch diese Person gestoppt würden, dass dadurch die Motivation bei allen sinke und überhaupt, dass er unter diesen Umständen von seinem Amt als Pfarrgemeinderat zurücktreten wolle. „Das hat mich richtig Überwindung gekostet, denn Wolfgang hat auch wichtige Unterstützter in der Gemeinde und jede Menge Einfluss“, sagt er. „Auf der anderen Seite haben mir viele gedankt dafür, selbstbewusst nicht einfach klein beigegeben zu haben.“ Zwei Wochen später fand die Gründungsversammlung statt, und dieser Tage konnte der Förderverein 40.000 Euro an die Kirchenstiftung überweisen.

 

Eine Entschuldigung, die von Stärke zeugt

 

Wolfgang ist ein Zahlenmensch, ein Rechner, einer, der jeden Euro prüft, ehe er ausgegeben wird. „Das ist nicht immer ein angenehmer Job“, sagt er, „weil man an vielen Stellen aneckt.“ Er arbeitet seit 24 Jahren in der Pfarrgemeinde und gibt zu, dass er über das Schreiben von Fred zunächst erbost war. „Er hat mich mit dieser Idee völlig überfahren, und die anderen applaudierten ihm auch noch“, erinnert er sich. „Mit seiner Mail-Reaktion habe ich aber nicht gerechnet.“ Drei Tage später schrieb er ihm zurück und entschuldigte sich dafür, in der Versammlung so herablassend gewesen zu sein. Selbstverständlich wolle er kein Projekt behindern, das der Gemeinde Geld einbringt. „Es tut mir leid, dass ich dich so überfahren habe, ich hatte einfach keinen guten Tag.“ Wolfgang hatte sich entschuldigt! Zum ersten Mal, ganz untypisch, völlig überraschend. Und dann auch noch so ehrlich! Selbstbewusst demütig.

 

„Ich habe damals zwei Tage nicht gut schlafen können“, erzählt Wolfgang, „weil meine Gefühle ständig zwischen Stolz und Einsicht schwankten. Als ich dann bei der Antwort-E-Mail auf ‚Senden‘ drückte, zitterte meine rechte Hand. Aber danach fühlte ich mich irgendwie gut.“ Und Fred schrieb ihm zurück, dass er die Entschuldigung annehme und sich freue, in Wolfgang nun einen Unterstützter zu haben: „Eine gute Idee wird meistens dadurch noch besser, wenn mehrere an ihr feilen.“

 

Warum leiden gerade Frauen oft an sich selber?

 

Der Franziskanerpater Christoph Kreitmeir vom Kloster Vierzehnheiligen in Bayern ist überzeugt: „Wer um seinen eigenen Wert weiß, wird auch fähig, das Wertvolle am anderen zu entdecken.“ Bei vielen Gesprächen stelle er immer wieder fest, wie viele Menschen an Selbstwertproblemen leiden – „auch viele Christen, die einerseits der Meinung sind, von Gott geliebt zu werden, auf der anderen Seite aber sich selbst und anderen gegenüber oft inkonsequent sind, nämlich abwertend und kritisch.“ Vor allem viele Frauen würden ein schlechtes Selbstwertgefühl in sich tragen, an sich leiden und mit ihrem Dasein unzufrieden sein. Pater Christoph: „Männer überspielen ihre Schwäche oft, geben sich selbstbewusst und auftrumpfend, dahinter verbirgt sich aber oft etwas anderes.“ Wenn in der Bibel der Rat gegeben werde, den Nächsten so zu lieben wie sich selbst, dann sei damit auf keinen Fall gemeint, den Nächsten auch ebenso gering zu schätzen und abfällig zu behandeln, wie man sich selbst oft behandelt.

 

Wer sich selbst ablehnt, fühlt sich unausgefüllt

 

„Auch die Kirche“, so der Franziskanerpater, „setzt die Selbstliebe voraus. Sie verurteilt sie nicht und lehnt sie nicht ab, wie viele Menschen fälschlicherweise oft denken.“ Deshalb sei er auch davon überzeugt, dass wir, wenn wir uns selbst nicht mögen, auch nicht in der Lage sind, die Mitmenschen und Gott zu lieben. Wer für sich selbst nichts übrig habe, wer sich selbst ablehne, fühle sich unausgefüllt und leer. In einer solchen Situation könne es passieren, dass wir andere gebrauchen und missbrauchen, damit diese uns das Gefühl geben, liebenswert, wertvoll und wichtig zu sein. Umso mehr sei Selbstvertrauen wichtig für ein gutes Leben als Christ. „Weil Jesus den Menschen liebt, gibt er ihm Selbstachtung, Wert und Bestätigung“, ist Pater Christoph überzeugt.

 

"Menschen, die sich jahrelang selbst kritisiert haben, müssen sich erst wieder einreden, wie kompetent sie sind" (Frank Beckers, Diplom-Psychologe)

 

Aber: Selbstbewusstsein ist nicht angeboren, sondern wird im Laufe des Lebens erlernt. Durch Eltern, Freunde, die Familie. Wobei nicht diejenigen selbstbewusst sind, die möglichst laut auftreten. Bei der Diskussion zwischen Fred und Wolfgang hat der eine selbstbewusst seine Zurückhaltung überwunden, der andere zeigte Selbstbewusstsein durch die Besonnenheit, die er in die Situation brachte. „Selbstbewusstsein zu erlangen, braucht mitunter ein wenig Zeit und Ausdauer“, ist der Psychologe Frank Beckers aus Selfkant überzeugt. „Wer Jahre damit zugebracht hat, sich selbst zu kritisieren und schlechtzumachen, muss sich erst wieder einreden, wie kompetent und qualifiziert er ist.“ Er empfiehlt, sich mehrmals am Tag eine Formel zu sagen wie zum Beispiel diese: „Ich bin ein wundervoller und liebenswerter Mensch. Ich verfüge über zahlreiche Stärken und liebenswerte Eigenschaften. Ich bin ein wertvoller Mensch und werde von allen geschätzt.“

 

Ja-Sager schätzen sich selbst zu wenig

 

Ja, sagt Beckers, natürlich habe jeder Mensch auch Fehler, und das mache den Menschen erst menschlich. Deshalb gehe es in erster Linie darum, sich mit diesen Fehlern und Schwächen auszusöhnen. „Unser Selbstbewusstsein dankt es uns, wenn wir uns nicht ständig an unerreichbaren Maßstäben messen“, so der Psychologe. Dabei ist auch „Nein“ sagen erlaubt, was für viele, die sich in der Kirche engagieren, oft schwierig ist. Weil sie denken, dass sie weniger geliebt werden, wenn sie anderen klare Grenzen setzen. „Dabei stimmt das Gegenteil“, ist Beckers überzeugt: „Wer immer zu allem Ja sagt, signalisiert seinem Umfeld, dass sie ihn nicht mit Respekt behandeln müssen, weil er sich selbst auch nicht wertschätzt. Das ist Gift fürs Selbstbewusstsein.“

 

Wolfgang, der Leiter des Pfarrbüros, ist kein Ja-Sager. „Vielleicht bin ich Neuem gegenüber oft zu skeptisch, weil Strukturen durchbrochen werden, die ich als gut empfinde.“ Eine Selbsteinschätzung, die selbstbewusst ist. Und Fred, der Initiator des Fördervereins, sagt: „Manchmal ist man von einer Idee so überzeugt, dass man jede Rückfrage als Angriff wertet. Dabei kann Kritik auch eine Chance sein.“ Eine Erkenntnis, die von Selbstbewusstsein zeugt. Und von christlicher Nächstenliebe auch.

 

Reportage von Peter Hummel im Liborius Magazin - Die Welt katholisch erleben,

Ausgabe 22/2010 (17.10.2010)