Gedanken zur Karwoche

von P. Anselm Grün

(aus seiner Facebookgruppe)

 

Mit dem Palmsonntag beginnt die Karwoche. Sie ist für die frühe Kirche die zentrale Woche des Kirchenjahres. Es geht in dieser Woche nicht nur um die Passion Jesu, um seinen Tod am Kreuz und um seine Auferstehung, sondern auch um das Gelingen unseres Lebens.

 

 

Man könnte den Vierschritt – Gründonnerstag, Karfreitag, Karsamstag und Ostern – mit den vier Schritten menschlicher Reifung vergleichen: Annehmen, Loslassen, Einswerden und Neuwerden.

 

Am Gründonnerstag geht es um das Annehmen. Indem Christus uns die Füße wäscht und unsere Achillesferse mit seiner Liebe berührt, fühlen wir uns ganz und gar von ihm angenommen. Nach dem Mahl geht Jesus in die Nacht hinaus, um zu wachen und zu beten. Das gehört auch zum Annehmen, sich mit all dem Dunklen anzunehmen, mit seiner Einsamkeit, mit seiner Ohnmacht, mit seinen Zweifeln.

 

Am Karfreitag geht es um das Loslassen. Jesus stirbt mit den Worten „Vater, in deine Hände lege ich meinen Geist.“ (Lk 23,46) Er lässt sich im Sterben in Gottes barmherzige und liebende Hände fallen, so wie wir uns am Abend in den Schlaf fallen lassen. Es geht nicht nur darum, im Tod sich loszulassen, sondern dieses Loslassen immer schon im Leben einzuüben. Sterben bedeutet im geistlichen Leben immer: seine Identifikation mit der Rolle, mit der Maske, mit dem Ego loszulassen, um zum eigentlichen und ursprünglichen Selbst zu gelangen. Am Karfreitag feiern wir die Kreuzenthüllung und Kreuzverehrung. Am Kreuz – so sagt das Johannesevangelium Joh 12,32 – umarmt uns Jesus. Diese Umarmung Jesu hilft uns, uns loszulassen. Aber es gilt der Grundsatz: Loslassen kann ich nur das, was ich angenommen habe. Jesu Umarmung bedeutet, dass wir mit allem, was in uns ist, von ihm angenommen sind. So können wir uns auch in Gottes Hände hinein loslassen.

 

Am Karsamstag ist Jesus im Grab. Es ist ein Tag der Stille, Und in dieser Stille geht es darum, in der Tiefe unserer Seele eins zu werden mit Christus, aber auch eins zu werden mit uns selbst, nicht mit dem eigenen Ego, sondern mit unserem Selbst, das alle Gegensätze, die wir in unserer Seele wahrnehmen, miteinander verbindet. Karl Rahner meint, Jesus sei im Tod hinabgestiegen in den Wurzelgrund der Welt und wäre dort eins geworden mit allem, was ist. So ist der Karsamstag die Einladung, in den Grund unserer Seele hinabzusteigen und in der Stille des Karsamstags eins zu werden mit dem ganzen Kosmos, eins zu werden mit Gott, dem Grund allen Seins, eins zu werden mit uns selbst und mit allen Menschen. In der Tiefe unserer Seele sind wir mit allem und allen verbunden.

 

An Ostern geht es um das Neuwerden. Die Auferstehung bedeutet, dass der Tod überwunden ist und alles neu geworden ist. Paulus spricht davon im Römerbrief. Weil Christus von den Toten auferstanden ist, sollen wir in der Neuheit des Lebens wandeln (in novitate vitae ambulemus) (Röm 6,4). Wenn wir durch die Taufe in Christus sind, sind wir eine neue Schöpfung. „Das Alte ist vergangen, Neues ist geworden.“ (2 Kor 5,17)

 

So wünsche ich Euch eine gesegnete Karwoche, in der Ihr im Blick auf Jesus diese vier Schritte der Selbstwerdung für Euch einüben könnt: euch anzunehmen, weil Christus Euch ganz und gar angenommen hat – Euch loszulassen und Euch mit Christus in die barmherzigen Hände Gottes fallen zu lassen, um eine neue Form von Geborgenheit und Umarmung zu erfahren – Eins zu werden mit Euch selbst, mit dem Kosmos, mit Gott, dem Grund allen Seins und mit allen Menschen, in der Hoffnung, dass dieses Einssein im Grund Eurer Seele auch die Menschen in ihrem Herzen miteinander verbindet – Neu zu werden durch die Auferstehung Jesu und das Alte loszulassen, um in der Neuheit des Lebens zu wandeln.